Mosaikum 1.0
Von KerLeone


Mini Mosaik Ethnologisches Logbuch
Wissenschaftliches und Anekdotisches
kie//:sel.stei.ne
Multi Autor Weblog
Mausoleum 1.0
Interne Links
Cursor

... mehr Beiträge
Cursor
[21.05.2007] 
Hans (externe Fokalisierung, evtl. etwas schwer verständlich)
Wenn neue Gäste auf den Campingplatz kamen, meist schon, wenn sie noch mit dem Rangieren ihrer Fahrzeuge beschäftigt waren oder wenn sie Stühle und Tische herausstellten, kam Hans aus seiner Parzelle des Campingplatzes und sprach die Neuankömmlinge an. Wie die Anfahrt gewesen sei, fragte er, oder er erzählte, wie das Wetter in den letzten Tagen war. Die ersten Gespräche waren dabei nie sehr lange. "So, jetzt muss ich mal wieder", sagte Hans, oder er rief einem seiner langjährigen Campingfreunde, die an ihm vorbeizogen, zu: "Du, der labert mich hier zu!", nicht ohne den Scherz gleich danach erkenntlich zu machen: "Nein, ist nur Spaß!" Dann verabschiedete er sich höflich von seinem Gesprächspartner und zog weiter. Den ganzen Tag verbrachte er so, stand mal in jenem Vorzelt oder am Eingang zum Strand, erzählte von seinem Sohn Christoph, der früher schüchtern, aber nun durch seine Freundin ein neuer Mensch sei, von seiner Jugend in Aachen, von der Berufsschule in Landshut, vom Zahnarzt am Pilsensee, dessen Sohn sehr grob Eishockey gespielt habe oder von der Wassertreterin von Widdersberg, wie er eine alte Frau nannte, die in einem Schlösschen auf einem Berg wohne und im Wasser nicht schwömme, sondern trete. Während er erzählte stockte er oft für eine Sekunde, dann suchten die Augen unter seinen buschigen Brauen etwas in der Ferne und dann sprach er weiter, mit kurzen und lauten Sätzen, während er die Hand in die Hüfte stützte, so dass sein kugeliger Bauch nach vorne trat und sein Holhkreuz sich wölbte. "Small-Talk ist wichtig", sagte Hans. Solange Hans da war, geschah es nicht, dass einer der Neuankömmlinge alleine vor seinem Wohnmobil saß: Hans bemühte sich darum, dass niemand alleine blieb.
Als einmal der ganze Platz über seinen Freund Wolfgang spottete, der ungeduldig zwei Kites gekauft hatte und sie am nächsten Tag mit hohem Verlust und frustriert wieder hergab, verteidigte er ihn gegenüber den Spöttern. "Ärgert's den nicht", sagte er laut und deutlich oder in einem anderen Gespräch auch milder: "Da muss ich ihn aber in Schutz nehmen." Und dann, am selben Tag, ölte er sorgsam ein rostiges Tor, das den Campingplatz vom Strand trennte. "Ist nur zum Spaß", sagte er.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 2]

[21.05.2007] 
Hans und sein Haus (interne Fokalisierung, "ich")
Er muss mich angesprochen haben, denn es ist nicht meine Art, Menschen anzusprechen, wenn man gerade erst angekommen ist und den Ort und die Personen noch nicht sortiert hat und ein Campingplatz nur ein eingezäuntes Gelände am Rand der Straße ist. Noch bevor ich die Bäume am Platz in Kiefern und Linden unterteilt hatte, bevor ich die kalten von den warmen Duschen unterscheiden konnte und bevor ich wusste, welches Gesicht nach dem morgendlichen Wind- und Wettergespräch am Eingang zum Strand unter welches Vorzelt verschwand, um in einem Surfanzug oder einem Campingstuhl wieder zu erscheinen, hatte sich Hans also aus diesem grob umrissenenen Campingplatz, der noch alles aufgesaugt in sich trug wie ein nasser Schwamm, herausgelöst und hatte ein kurzes Gespräche begonnen. Noch schneller, als der Campingplatz sich für mich in seine einzelnen Bestandteile zergliederte, verfeinerte sich so, bei diesen Gesprächen, auch die äußere Erscheinung von Hans. Bei dem Gespräch über seinen schüchternen Sohn Christoph erkannte ich seinen seltsam festen, aber doch kugeligen Bauch, bei seiner Erzählung über den Zahnarzt vom Pilsensee, dessen Sohn sehr grob Eishockey spielt, fielen mir seine buschigen Augenbrauen auf. Mit der Wassertreterin von Widdersberg, wie er eine alte Frau nannte, die in einem Schlösschen wohnte und im Wasser nicht schwamm, sondern trat, zeigten sich kleine weiße Punkte auf seinen Beinen und sein silberner Seitenscheitel trat gemeinsam mit zwei bayrischen Grenzpolizisten in meine Welt. Am einprägsamsten war aber sein Hohlkreuz, das sich in meinem Kopf mehrmals bei Sturm in die Bucht vor Vieste retten musste, während Freunde bereits Polizei und Helikopter für die Vermisstensuche verständigt hatten. Diese Gespräche schienen für Hans nicht belanglos zu sein. Obwohl er mit seiner Frau der Meinung war, dass er zu viel redete, sagte er selbst, dass dieser "Small-Talk" wichtig sei. Ich holte mir den Eifer in Erinnerung, mit dem Hans die sozialen Kontakte pflegte und die Behutsamkeit, mit der er seine Gesprächspartner vor seinem lauten Lachen schützte, indem er direkt nach seinen Witzen sagte "Ist nur Spaß!" oder "Das sind nur Sprüche!". So entging mir nicht, dass Hans ein sehr feinfühliger Mensch war. Nach einigen Tagen hatte ich den Eindruck, dass Hans, wenn er mich abends zu einer Runde mit Salzgebäck und Rotwein einlud, weil ich alleine vor meinem Wohnmobil saß, oder wenn er auf dem Platz herumlief und mit einer lachenden Entschuldigung von einer Gesprächsgruppe in die andere wechselte, nicht auf einem Campingplatz, nicht in seinem blauen VW-Bus zu Hause war, sondern in einem sozialen Gefüge aus den Menschen, die ihn umgaben. Dieses Zuhause, das für einen Außenstehenden nicht sichtbar war, pflegte Hans. So wie er das fremde Tor zum Strand, das eingerostet war, ölte, so war er auch um den Zustand des sozialen Gefüges, in dem er sich eingerichtet hatte, besorgt. Wenn er merkte, dass der ganze Platz über Wolfgang spottete, der im ungeduldigen Ehrgeiz eines alternden Sportlers zwei Kites gekauft hatte und am nächsten Tag mit hohem Verlust und frustriert wieder hergab, verteidigte er ihn bei jedem. Mit wenigen Worten, die er laut und deutlich benutzen konnte wie einen Vorschlaghammer ("Ärgerts den nicht!") oder auch vorsichtig und zart, wie einen Pinsel ("Da muss ich ihn aber in Schutz nehmen"), bearbeitete er dieses Zuhause und besserte alle Stellen aus, wo sich Kummer eingeschlichen hatte, wo etwas in Schieflage geraten war oder ein paar morsche Wörter aus einem Missverständnis hervorschauten. Ich war mir sicher, dass Hans es irgendwann erlebt hatte, wie schnell ein solches Haus, wie es sie in seiner Welt zu geben schien, einstürzen konnte und wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man von den Trümmern des Streits, der Zwietracht und des Spottes begraben wurde.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 2]

[21.05.2007] 
Hans und sein Haus (Nullfokalisierung)
Jeder am Platz kannte Hans, obwohl er seinen blauen VW-Bus recht unscheinbar in einem Eck des Campingplatzes geparkt hatte, das in der Morgensonne im Schatten einer kleinen Kiefer verschwand. Wenn neue Gäste kamen, hatten sie nicht viel Zeit, um den Ort und die Personen zu sortieren, der für sie noch nicht mehr als eine grobe Erstreckung im Raum war, in der sich die Bäume noch nicht in Kiefern und Linden unterteilten und die weißen Gebäude noch nicht in Duschen und Toiletten und deren Außenwände noch nicht in Reihen von Spül- oder Wäschebecken. Aus diesem grob umrissenen Campingplatz, das für den Fremden noch alles aufgesaugt in sich trug wie ein nasser Schwamm, nahmen die meisten Gäste als erstes Hans wahr, der ohne Scheu Gespräche begann. Da stand er dann vor den Neuankömmlingen und befragte sie über ihr Wohnmobil oder über die Anfahrt, während Tische und Stühle ausgepackt wurden. Dabei war Hans nie aufdringlich, er erkannte, wenn er störte oder wenn er zuviel geredet hatte. Dann lachte er und rief einem Vorbeikommenden zu: "Du, der labert mich hier zu!", nicht ohne den Scherz gleich danach erkenntlich zu machen: "Nein, ist nur Spaß!". Schließlich verabschiedete er sich höflich und zog weiter. Den ganzen Tag verbrachte er so, stand mal in jenem Vorzelt oder am Eingang zum Strand, erzählte von seinem Sohn Christoph, der früher schüchtern war aber nun durch seine Freundin ein neuer Mensch, von seiner Jugend in Aachen, von der Berufsschule in Landshut, vom Zahnarzt am Pilsensee, dessen Sohn sehr grob Eishockey gespielt hat oder von der Wassertreterin von Widdersberg, wie er eine alte Frau nannte, die in einem Schlösschen auf einem Berg wohnte und im Wasser nicht schwamm, sondern trat. Während er erzählte, suchten die Augen unter seinen buschigen Brauen immer in der Ferne nach den wenigen Worten, aus denen diese Geschichten bestanden und sein eigenartig fester, aber doch kugeliger Bauch wurde von seinem Hohlkreuz nach vorne gewölbt, während er die Hand in die Hüfte stützte. "Small-Talk ist wichtig", sagte Hans.
Diese Gespräche waren nicht belanglos für ihn. Wenn er einen einsamen Neuankömmling abends zu einer Runde mit Salzgebäck und Rotwein einlud, weil er alleine vor seinem Wohnmobil saß, oder wenn er auf dem Platz herumlief und mit einer lachenden Entschuldigung von einer Gesprächsgruppe in die andere wechselte, dann hielt er sich nicht auf einem Campingplatz auf, sondern in einem sozialen Gefüge aus den Menschen, die ihn umgaben. Dieses Zuhause, das für einen Außenstehenden nicht sichtbar war, pflegte Hans. So wie er das fremde Tor zum Strand, das eingerostet war, ölte, so war er auch um den Zustand des sozialen Gefüges, in dem er sich eingerichtet hatte, besorgt. Wenn er merkte, dass der ganze Platz über Wolfgang spottete, der im ungeduldigen Ehrgeiz eines alternden Sportlers zwei Kites gekauft hatte und am nächsten Tag mit hohem Verlust und frustriert wieder hergab, verteidigte er ihn bei jedem. Mit wenigen Worten, die er laut und deutlich benutzen konnte wie einen Vorschlaghammer ("Ärgerts den nicht!") oder auch vorsichtig und zart, wie einen Pinsel ("Da muss ich ihn aber in Schutz nehmen"), bearbeitete er dieses Zuhause und besserte alle Stellen aus, wo sich Kummer eingeschlichen hatte, wo etwas in Schieflage geraten war oder ein paar morsche Wörter aus einem Missverständnis hervorschauten. Es schien so, als habe Hans einmal erlebt, wie schnell ein solches Haus, wie es sie in seiner Welt gab, einstürzen konnte und wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man von den Trümmern des Streits, der Zwietracht und des Spottes begraben wurde.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[21.05.2007] 
Hans und sein Haus (interne Fokalisierung, "er", grenzt bei faktualen Geschichten allerdings an Unverschämtheit)
Neue Gäste auf dem Campingplatz waren für Hans immer von besonderem Interesse. Nicht nur, dass er sich unwohl fühlte, wenn er den Fremden beim hektischen Rangieren mit einem Wohnmobil oder Wohnwagen zusah, ohne dabei Hilfe anzubieten. Sondern auch, weil er gerne plauderte. "Small-Talk ist wichtig", fand er. "Rede doch nicht immer soviel", sagte hingegen seine Frau und er fand durchaus, dass auch sie dabei Recht hatte. Wenn nun also neue Gäste kamen und noch hilflos zwischen Linden und Kiefern umherirrten, auf kleinen Wegen nach den heißen Duschen suchten oder nach der Waschmaschine, dann sprach er sie an, achtete aber darauf, nicht zu aufdringlich zu wirken. Hin und wieder unterbrach er dann das Gespräch und rief einem seiner langjährigen Freunde am Campingplatz lachend zu, dass er von dem neuen Gast gerade beschwatzt werde, nicht ohne den Scherz gleich danach erkenntlich zu machen: "Ist nur Spaß!" Den ganzen Tag verbrachte er so, stand mal in jenem Vorzelt oder am Eingang zum Strand, erzählte von seinem Sohn Christoph, der früher schüchtern war aber nun durch seine Freundin richtig lebendig, von seiner Jugend, in der er als Kölner in Bayern erstmal den Dialekt lernen musste, den er nun so gern und nicht ohne Stolz sprach, vom Zahnarzt am Pilsensee, dessen Sohn, wie er sich erinnerte, sehr grob Eishockey gespielt hat oder von der Wassertreterin vom Wörthsee, einer alten Frau, die in einem Schlösschen auf dem Berg von Widdersberg wohnte und im Wasser nicht schwamm, sondern trat. obwohl er nicht der Meinung war, dass er sprachgewandt war und ihm Deutsch ein Horror während der Schulzeit war, erzählte er gerne und mit kurzen Worten. Aber diese Gespräche waren nicht belanglos für ihn. Wenn er einen einsamen Neuankömmling abends zu einer Runde mit Salzgebäck und Rotwein einlud, weil er nicht wollte, dass er alleine vor seinem Wohnmobil sitzen muss, oder wenn er auf dem Platz herumlief und mal mit einer witzigen, mal mit einer höflichen Entschuldigung von einer Gesprächsgruppe in die andere wechselte, dann hielt er sich nicht auf einem Campingplatz auf, sondern er hatten den Eindruck, in einem sozialen Gefüge zu leben, dass die Menschen, die ihn umgaben, bildeten. Dieses Zuhause, das für einen Außenstehenden nicht sichtbar war, pflegte Hans. So wie er das verrostete Tor zum Strand, das ihn eigentlich nichts anging, ölte, so war er auch um den Zustand des sozialen Gefüges, in dem er sich eingerichtet hatte, besorgt. Wenn er merkte, dass der ganze Platz über Wolfgang spottete, der, ungeduldig wie er nunmal war, zwei Kites gekauft hatte und am nächsten Tag mit hohem Verlust und frustriert wieder hergab, verteidigte er ihn, egal wer ihn angriff. Mit wenigen Worten, die er zur Not auch laut und deutlich benutzen konnte wie einen Vorschlaghammer ("Ärgert's den nicht!") oder auch vorsichtig und zart wie einen Pinsel ("Da muss ich ihn aber in Schutz nehmen"), bearbeitete er dieses Zuhause und besserte alle Stellen aus, wo sich Kummer eingeschlichen hatte, wo etwas in Schieflage geraten war oder ein paar morsche Wörter aus einem Missverständnis hervorschauten. Hans wusste, wie schnell ein solches Haus, wie es sie in seiner Welt gab, einstürzen konnte und wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man von den Trümmern des Streits, der Zwietracht und des Spottes begraben wurde.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[18.05.2007] 
Ungeschick
Woher habe ich nur dieses Ungeschick, mich immer ein oder zwei Tage nach Beginn eines Sporturlaubs bei banalen Alltagshandlungen zu verletzen und vor allem, wie werde ich dieses Ungeschick wieder los? Soll ich den ewig immer nur Bücher lesen?
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 3]

[18.05.2007] 
Zoroas (assoziativ, frei erfunden)
Zoroas, morgens und abends und morgens und abends das ganze Jahr über einen Berg ein Weg. Der Bäume Schatten atmete der Nordhang, atmete das Laub der Steineichen das beständig auch im Frühling blieb wie die Kühle im Atmen und im Laub ein Rascheln und wenn die Zeit und meist war Zeit kein schnelles Atmen und kein schnelles Rascheln. Dann öffnete der Wald und sah den Busch mit weißesten Blüten mit Bienen und Summen zwischen Himmel und Tal ein Festmahl der Hummeln, morgens und abends. Ein halber Weg pausierte und Freude dachte an seine Frau im Dorf im Geiste.
Die Kühle verlor, gewann der Südhang die Süße im Klee an der Hand des würzigen Thymians, was Zoroas keine Namen der Blumen doch Farben riechen und Freude trug auch hier sein ruhiger Puls, allein die Eidechsen Flucht und Angst, warum, und lachte, nur ich im Frieden und keine Gefahr. Das Haus im Mohn der Abendröte und das Weiß einzelner Betlehem-Sterne. Sagte alles ist da wie morgens und abends und ich bin da daheim ist sie.

Ein Tag. Vertrockneten Tomaten und Axt vom Stiel erkrankte die Katze ein Unglück fing Feuer und der Schuppen löschte die erstickende Frau.

Morgens der Abend erwartet abends den Morgen alles ein Weg ohne Weg. Der Nordhang erdrosselte im fauligen Laub, im Nacken die Hände aus Nebel packten kalt den Schweiß der schnellen Hast. Verlief jeder Weg, denn wohin und wollte nie ankommen, folgte Dingen die nicht da sind Zoroas Geister rissen die Dornen und schrien die Vögel atmeten das Fauchen im Laub. Hassender weißdorn stank am Gipfel der Hölle, kein Weg zurück der nicht pausierte, den Südhang erstickte die Sonne im Hohn schwefelgelber Lilien. Im schwarzen Spiegel der Ragwurz spotteten die Farben, die schlafen im Mohn bis ans weiße Ende aller Sterne. Zoroas Sonne ging unter, ein leerer Topf ein leeres Haus im Geist des Herzens für immer.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[18.05.2007] 
Zoroas (syntaktisch, frei erfunden)
Zoroas war Landarbeiter. Jeden Tag machte er sich auf den Heimweg in sein Dorf, das auf der anderen Seite eines kleinen Bergkammes lag. Der Weg führte durch einen Mischwald aus Steineichen, Lorbeerbäumen und Kiefern, am Nordhang feucht und steil, am Südhang, wo Zoroas wohnte, verlief der Weg trocken, von Steinmauern gesäumt über einen sanft absteigenden Hügel. Wenn Zoroas es eilig hatte, war der Weg anstrengend, aber meistens war Zeit. Die Kühle der Luft beim Aufstieg war angenehm und das Laub, das beständig, auch im Frühjahr, von den Lorbeerbäumen fiel, raschelte und knackte unter seinen Schritten. Oben war es oft warm genug für eine kurze Pause, er trocknete sein Hemd in der warmen Abendsonne oder hörte den Bienen und Hummeln zu, die ein Festmahl im Weißdorn feierten. Dann brach er wieder auf, der würzige Geruch von Thymian zog von den weiten Wiesen des Südhangs warm herauf, vermischte sich mit der Süße des Klees und Zoroas holte das alles tief in seine Brust, mit allen Farben der Blumen, die ihn jeden Tag in seiner Freude auf das Zuhause begleiteten, auch wenn er ihre Namen nicht kannte. Auch die Eidechsen waren da, jeden Tag flüchteten sie aufs neue vor ihm und Zoroas lachte: "Vor mir! Ich tu euch doch nichts!".
Unten stand das Haus inmitten von Weizenfeldern, gesäumt von Mohn und hin und wieder einem weißen Betlehemstern. Alles war, wie es immer war, und Zoroas war froh darum.

Eines Tages geschahen einige unglückliche Dinge. Die Axt flog beim Hacken vom Stiel, die Katze wurde krank, die Tomaten vertrockneten, der Schuppen fing Feuer und seine Frau erstickte, als sie es löschen wollte.

Nun wünschte Zoroas jeden Morgen den Abend herbei und jeden Abend den Morgen. Den Heimweg versuchte er unter Verwendung von Abkürzungen, die keine waren oder unter Vorwand von Dingen, die gar nicht da waren, zu verlängern. Feuchtigkeit stieg aus der Erde, vermischte sich mit dem dumpfen Klang seiner Stiefel auf dem Humus und bedrängte ihn. Kalt packte ihn der Nebel im schweißigen Nacken und er hastete ohne Halt zwischen Schwarzkiefern und Farnbüscheln nach oben, Dornen rissen ihn, die Vögel schrien, das Laub war wie wild und oben angekommen empfing ihn der verhasste Gestank des Weißdorns. Selten nur noch machte er Rast, er lief weiter an den Steinmauern hinab ins Tal, an blühender Ragwurz vorbei, die ihre schwarze Zungen wie zum Spott heraustreckte, als hätte sie alle Farben bis ans Ende der Zeit verschlungen. Unten wartete ein leerer Topf und ein leeres Haus auf ein leeres Herz. Zoroas kam nie mehr wirklich an.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[18.05.2007] 
Zoroas (lyrisch, frei erfunden)
Im Schatten der Bäume
Die Kühle im Atem, das Rascheln im Laub
der Heimweg hat Träume
vergessen im Zauber, die Zeit wird zu Staub

Am Kamm eine Pause
die Bienen im Weißdorn nehmen ihr Mahl
die Liebe nach Hause
drängt weiter am Südhang, hinunter ins Tal

Die Kühle verfliegt
die Sonne mischt Wärme mit süßlichen Klee
und Farbe besiegt
den Blick auf die Wiesen am Rand der Allee

Die Eidechse rennen
Sie fliehen vor mir, warum diese Furcht
kann jeder erkennen
dass ich es nicht bin, der den Frieden nicht sucht

Rot ist die Flut
im Mohnfeld der Sonne steht wartend sie da
und alles ist gut
weil alles so ist, wie es immer schon war

Dann endet das Heil
vom Stiel fliegt das Beil
Tiere versterben
Früchte verderben
unschuldige Hand
entzündet den Brand
das Feuer entzweit
schafft ewiges Leid

Abend für Abend
den Morgen erwartend, damit er vergeht
den Heimweg ertragend
als furchtbare Pflicht, noch immer besteht

Drohender Nordhang
mit fauliger Luft streicht Zoroas im Nacken
am Hals liegt ein Strang,
den die Hände des Nebels bei jedem Schritt packen

Was soll er daheim?
So folgt er den Dingen, die nicht existieren
der Schein bricht das Sein
durch Dornen und Geister, was soll er verlieren.

Im Irren und Raten
erreicht er den Weißdorn, der nimmt ihm die Luft
mit tausend Soldaten
aus tausenden Blüten dringt teuflischer Duft

Schwarz und erhaben
die Zungen der Ragwurz bis zum Haus in der Ferne
spottet den Farben
die schlafen im Mohn bis ans Ende der Sterne

Dann ist er im Haus
doch kommt niemals an, das Nichts ist ein Heer
dem niemand kommt aus
nichts wird mehr sein, die Zeit ist jetzt leer

|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[10.05.2007] 
Blaue Erdbeeren (frei erfunden)
"Einen Moment der Geduld bitte, hier ist er", hörte ich eine Stimme aus meinem Schreibtisch sagen. Diese Antwort kam überraschend, da ich die vorausgegangene Frage an mich selbst gestellt hatte. Aber sie kam nicht ungelegen, da die Person im Schreibtisch Aufschluss darüber versprach, warum mein Füllfederhalter nicht wie gewohnt in der Kristallschale lag.
Ich öffnete die Schublade vorsichtig. Ein Papierblock kam zum Vorschein, darauf ein kleiner Mann, quer über dem vermißten Füllfederhalter liegend und in übertriebener Anspannung damit beschäftigt, sich und das Schreibgerät während meiner Schubladenbewegung auf dem Papier zu halten. Als ich die Bewegung der Schublade stoppte, stand der Mann sehr zügig und ohne mich zu beachten auf. Dann packte er den schlanken Füllfederhalter mit zwei Händen - grob, begehrlich und doch schüchtern wie ein 15jähriger seine erste Tanzpartnerin - und mit ausholenden und kräftigen Bewegungen setze er seinen Text auf dem Papier fort, den er offensichtlich vorher bereits begonnen hatte.
"Was schreibst du da?, fragte ich.
"Ich berichte von einer großen." An dieser Stelle unterbrach er und ruderte mit einer Hand in der Luft als müsste er erst Platz machen für die große Sache die jetzt folgte. "Ich berichte von einer großen und bedeutenden Entdeckung." Er blieb grotesk lange mit der Hand in der Luft stehen. Ich bemerkte erst jetzt seinen völlig veralteten, schwarzen Gehrock aus dem letzten, vielleicht sogar vorletzten Jahrhundert und seine alberne Fellmütze mit Ohrenklappen. Bevor ich ihn fragen konnte, von welchem Tier das Fell stammte, fuhr er fort mit seiner Rede.
"Du musst diesen Bericht, der erstmals von dieser großen Entdeckung mitteilt, in deinem Weblog kundgeben."
"Was hast du denn entdeckt", fragte ich neugierig.
Er holte tief Luft, soviel er konnte (das war nicht viel) und antwortete: "Blaue Erdbeeren." (Er machte das "u" so lang und tief, dass er fast darin unterging). "Ich habe gestern blaue Erdbeeren gefunden, nach langer Suche. Und ich möchte. Dass die Welt. Davon erfährt." Während er sprach, zerteilte er den Satz mit seinem hoch erhobenen Zeigefinger in drei Teile. Der Mann schrieb noch ein paar Worte, dann legte er den Füllfederhalter behutsam auf den Boden und streckte mir seine Hände entgegen. "Sieh!" rief er, "sie sind noch ganz blau, meine Hände, denn ich habe von den Beeren gekostet."
"Hmmm." Ich brummte zögerlich. "Das könnte auch Tinte sein. Schau, wie du mit dem Füller gekleckert hast."
Es vergingen mehrere Sekunden, in denen der kleine Mann abwechselnd auf seine Hände, auf mich und auf den Füllfederhaltet sah. Dann zog er betont gelassen beide Augebrauen hoch.
"Tinte? Woher denn?" Er lachte milde. "Ich habe nichts geschrieben. Es gibt nur die Möglichkeit, dass dies von den Erbeeren herrührt."
"Hmmmmmm", brummte ich länger und zögerlicher. Ich war erstaunt über die Dreistigkeit des kleinen Mannes, der gerade noch, wie jeder im Raum hätte sehen können, geschrieben hatte. Aber freu dich nicht zu früh, dachte ich mir. "Also nehmen wir mal an, du hast den Stift wirklich nicht in der Hand gehabt."
"Nein, ich verwende niemals Füllfederhalter. Ich bin des Schreibens gar nicht mächtig."
"Ja, gut," antwortete ich", nehmen wir jetzt an, du hast nicht geschrieben, aber dann kann ich doch nichts veröffentlichen über deine Entdeckung. Niemand hätte dann diesen Text geschrieben, das leuchtet doch ein! Gib also zu, dass du diesen Text geschrieben hast und es möglich ist, dass deine blauen Hände ..."
"Nichts geb ich zu", unterbrach mich der kleine Mann. "Die Sache ist ganz einfach, du hast den Text geschrieben."
Der kleine Mann lachte hämisch. Dann kletterte er aus der Schublade, sprang auf den Stuhl und von dort auf den Boden. Man konnte deutlich sehen, wie er sich freute über seine Konstruktion. Er zog seine Fellmütze, machte eine kleine Verbeugung und bedankte sich für meine Mithilfe bei der Veröffentlichung seiner Entdeckung. "Niemand wird dir glauben, wenn du sagst, ein Mann in deinem Schreibtisch hat diesen Bericht verfasst. Du hast den Text geschrieben."
Ich sah ihm zu, wie er quer durch den Raum auf das Bücherregal zulief und zwischen einem Roman von Nabokov und einigen Kurzgeschichten von Gogol verschwand. Dann nahm ich den Notizblock aus der Schublade und begann, den Bericht des kleinen Mannes Wort für Wort abzutippen und unter der Überschrift "Blaue Erdbeeren" in meinem weblog zu veröffentlichen.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 4]

[6.05.2007] 
Briefe schreiben ist wie Wetterleuchten
Er bezog eine schon Ende Mai kurz vor seine Reise nach Thale gemietete Wohnung in der Lennéstraße, wohin er auch alle Briefe zu richten angeordnet hat, leider fand er nichts vor, weder in der Wohnung noch auf der Post, oder doch nicht das, woran ihm am meisten gelegen war. Eine schlechte Laune stellte sich ein. Aber glücklicherweise nicht auf lange: "Thor der ich bin, und immer nur mit meinen Wünsche rechne. Man braucht kein Meschenkenner zu sein um zu wissen, dass Cecile keine passionierte Briefschreiberin ist. Wäre sie das, so wäre sie nicht sie selbst. Briefe schreiben ist wie Wetterleuchten, das verblitzt sich alles und das Gewitter zieht nicht herauf. Aber Frauen wie Cecile dagegen vergegenständlichen sich nichts und haben gar nicht den Drang, sich innerlich von irgendwas zu befreien. Auch nicht von dem was sie quält. Im Gegenteil. Sie brüten darüber und überladen sich mit Gefühl, bis dann mit einem Mal der Funke überspringt. Aber sie schreiben nicht, sie schreiben nicht!"
Theodor Fontane: Cecile
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 1]

[2.05.2007] 
Der katholische Geist des Kapitalismus
Eine italienische Kleinstadt macht es einem auch nicht gerade leicht, laenger als bis 7.00 Uhr zu schlafen.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 1]

[2.05.2007] 
Gehirn
Ich würde gerne wissen, wie es ein Gehirn schafft, sich im Traum über etwas, das es sich weniger als eine Sekune vorher selbst ausgedacht hat, derartig zu erschrecken, dass das Herz zu rasen beginnt und der Körper aufwacht. Zweitens würde ich gerne wissen, warum das Gehirn solche Späße überhaupt für notwendig hält. Drittens würde ich darum bitten, solche Späße vorher mit der Blase abzusprechen, damit man nach dem Aufwachen wenigstens nicht noch alleine in den mondbeschienenen Wald hinaus muss.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 2]

[2.05.2007] 
Fette Ratte
Fette Ratte oder sonstiges Bisamotterbibertier am Fluss getroffen. Sah aus wie Garfield, nur mit Schwimmhäuten an den Händen und einem Arsch so dick wie eine gefüllte Damenhandtasche. Komisches Tier, sehr faul und langsam. Hat Gras gefressen und mich angefaucht. Konnte sich hinsetzen und lässig am Bauch kratzen, was mich sehr beeindruckt hat. Das sind die Haustiere von morgen.
|ö| = KerLeone  [Kommentare: 0]

[2.05.2007] 
Kleines Wildcamperquiz für Italien
Frage 1: Sie campen mit Ihrem Wohnmobil auf einem Parkplatz eines großen Einkaufszentrums vor der Stadt. Mit was müssen Sie rechnen?
Es bleibt ruhig, nix passiert. Der Parkplatz wird nach schließlich nicht gebraucht.
Der Sicherheitsdienst des Parkplatzes kommt um 23.00 Uhr und liest Ihnen die Hausordnung vor.
Von 23.00 Uhr bis 1.00 Uhr verwandelt sich der Parkplatz in den städtischen Schwulentreff. Es kommen mehr Leute als tagsüber eingekauft haben. Man muss damit rechnen, dass die Hälfte von ihnen pfeifend um das Wohnmobil fährt, in der Hoffnung, Til Schweiger steigt aus. Von 5.00 bis 7.00 wird Rasen gemäht unter Verwendung motorbetriebener Geräte mit unterschiedlichen Geräuschpegeln (extrem laut, exorbitant laut, apokalyptisch laut). 6.00 Uhr bis 8.00 Uhr: Das Gebäude wird abgerissen. Morgens damit rechnen, das leere Kieslaster beim Überfahren der Stolperschwellen Geräusche verursachen, die mit dem Abriß des Einkaufszentrums verwechselt werden können. Um 8.00 beginnen die Angestellten den Müll auf dem Parkplatz in Eimer zu sammeln, die sie anschließend in die umliegenden Straßengräben leeren.
Wie Antwort drei, aber die Müllmänner am Morgen benutzen zusätzlich Laubbläser.


|ö| = KerLeone  [Kommentare: 1]
vorherige Monate ...

Archiv
Suche
RSS-Feed (XML)

PWS 0.5
(Personal Weblog System)

Archivierungs-Tool
(Weblog zum Archiv erweitern)

Ethno::log
(Die ethnologische Glocke)

Fastfood Freunde

NEU:Gutterflower
Dinge gehen auf Reisen

Korianderbrot
Flash-Kurzgeschichte (2,7 MB)

Literatur
Bearbeiten

Zuletzt gelesen:

mehr ...
Klickeria
um die Ecke

Tracked by AXS Valid CSS Ver. 2!

Mit einer Erfindung vom Mai 1941 hat Konrad Zuse gezeigt, dass ein Rechner aus einer Ansammlung von Transistoren bestehen kann. Diese Webseite wird auf ihrem Bildschirm so angezeigt, weil einige Transistoren in Ihrem Rechner eine bestimmte Stellung einnehmen. Wenn Sie mit dem, was Sie gerade auf Ihrem Bildschirm erkennen, ein Problem haben, wenden Sie sich an die Transistoren in Ihrem Rechner. Falls Ihnen die Kontrolle über die Tranistoren in Ihrem Rechner entglitten ist und Sie mit den Darstellungen auf Ihrem Bildschirm unzufrieden sind, empfehle ich Ihnen, den Rechner auszuschalten. Ich dagegen sehe mich außerstande, Verantwortung für Transistorenstellungen in Ihrem Rechner zu übernehmen (ich kenne Sie ja gar nicht).